A-Klasse: 4. Runde; SK Keres II – Schachfreunde Augsburg I 4:4

Wenn Drill auf Leidenschaft trifft

 

Am Samstag fand in der A-Klasse eine Begegnung statt, wie es sie in der langen Geschichte des Kreisverbandes Augsburg so noch nicht gegeben hat. Denn wir Schachfreunde, bekannt dafür, mittels harten Trainings nach Vervollkommnung zu streben und dabei den Prinzipien der Schachstrategie zu folgen, mussten ausgerechnet zum SK Keres, dessen Spieler nur allzu gerne die Lehrmeinungen mit Füßen treten, sofern sie dafür wenigstens die bloße Aussicht auf den Angstschweiß der Gegner und das Erlegen derer Monarchen haben. Kurzum: Ein schachliches Armageddon!

 

Und obwohl es „nur“ gegen die zweite Mannschaft des SK Keres ging, wurden viele unserer Schachfreunde vom Defätismus erfasst und man flüchtete sich lieber in die Berge, in sklavisch anmutende Arbeitszeiten oder gar in Krankheiten, nur um dieser schicksalhaften Begegnung zu entgehen. Nur mit größter Mühe war es mir als Mannschaftsführer gelungen, überhaupt einen Achter zusammenzubekommen, bevor wir uns mit gemischten Gefühlen in Richtung „Rheingold“ – Welch mystischer Name! – aufmachten.

 

Dort angekommen wurde unsere kleine Schar bestehend aus Zarko, Erich, Jörg, Andreas, Noa, Robert, Steven und mir zwar vordergründig herzlich begrüßt, doch die dämmerige Beleuchtung und die entsprechende Musik ließen uns bereits erahnen, was man an diesem Abend noch alles mit uns vorhatte. Bange Blicke kreuzten sich und jeder von uns begab sich mit der zarten Hoffnung ans Brett, dass es seine Kameraden schon irgendwie richten würden. Zumindest dachten wir das, bis uns gewahr wurde, dass wir innen sitzen sollten und so faktisch von den Keres-Spielern umzingelt waren. Spätestens hier war ich mir sicher, in den Augen einiger unerfahrener Vereinskameraden aufkommende Panik zu erkennen. Wer sollte es ihnen aber auch verdenken, ging es mir als altem Schlachtross auch nicht anders, wusste das aber noch gut zu überspielen.

 

Kaum dass die Uhren in Gang gesetzt worden waren, da setzte auch schon der erste wilde Ansturm der Gastgeber ein. Vor allen Dingen Robert und ich, die leichtsinnigerweise mit dem Königsbauern eröffnet hatten, gerieten schnell unter Druck und waren früh damit beschäftigt, unser Zentrum zu decken. Das erste Brett musste einfach standhalten, hätte sich hier eine schnelle Niederlage verheerend auf die Moral der restlichen Schachfreunde ausgewirkt, weshalb ich die Ellenbogen in den Tisch rammte und nach 1. e4 b6! 2. d4?! Lb7! 3. Ld3 e6! nach Lösungen für die anstehenden Probleme suchte und innerlich gelobte, jedwede Komplikation zu vermeiden, ja nach Möglichkeit schon im Keim zu ersticken!

 

So verstrich die Zeit und als nach einer Stunde Spielzeit keiner von uns Schachfreunden überrannt worden war und sich mein Gegner, der taktisch berühmt-berüchtigte H.P. Dillimann, eine Zigarettenpause gönnte, da schritt ich, nach außen hin ruhig, im Inneren aber vollkommen aufgewühlt, die Bretter ab und versuchte meine Mannschaftskameraden aufzumuntern, was mir zum Teil wohl auch gelang.

 

Denn als es in die dritte Stunde ging, da war immer noch keine Partie entschieden, wenngleich sich doch so langsam erste Tendenzen abzeichneten. Zarko hatte, um eine Entlastung heischend, in seinem Holländer einen vermeintlichen Gegenangriff gestartet, was seinen erfahrenen Gegner nur noch mehr reizte, ihn wiederum einen „Gegen-Gegenangriff“ inszinieren ließ, sodass er sich Zarkos König genüsslich zurechtlegte. Erich, den es vom achten ans dritte Brett hochgespült hatte, suchte sein Heil in einer verschachtelten Stellung und eröffnete so seinem Gegner die Möglichkeit, positionelle Fehler zu begehen, die dieser auch wahrnahm. Allerdings kostete dieses Lavieren ungemein viel Zeit, weshalb man auch dieses Brett mit Sorge betrachten musste. Selbst unser erfahrener Haudegen Jörg, der sich normalerweise wie ein Wikinger mit dem Schwert in der Hand und Odins Namen auf den Lippen todesmutig in jedes Gefecht stürzt, traute sich nicht, in dem ihm vorgesetzten „Abtauschfranzosen“ Verwicklungen zu suchen. Dafür stand er etwas besser, wobei eine Gefährdung des „Keresianers“ auch nicht unbedingt erkennbar war. Als äußerst erfreulich war Andreas Stellung einzuschätzen, der den Damenflügel mittlerweile abgeriegelt hatte und nun zum Angriff auf die schwarze Festung ansetzte. Unsere Noa (6. Brett) stand objektiv betrachtet recht gut, fühlte sich aber in der konkreten Stellung sichtlich unwohl. Dies mag zum einen sicher dem Umstand geschuldet gewesen sein, dass ihr der Stellungstyp nicht so geläufig war, zum anderen wird der Matt suchende Blick ihres Gegners einen größeren Anteil an ihrer Gefühlswelt gehabt haben. Bei Robert hatte sich das Geschehen dahingehend entwickelt, dass er mittlerweile seine erfahrene Gegnerin im Griff hatte und nun, man möge ihm die Kühnheit seiner Jugend nachsehen, einen Bauern opferte, um in einem Damenendspiel mit ungleichfarbigen Läufern Druck aufzubauen. Und auch Steven, der erst die dritte Turnierpartie seines Lebens bestritt, hatte sich zwischenzeitlich mit der Besonderheit dieses Kampfes arrangiert und drückte in einem Schwerfigurenendspiel gegen einen isolierten Bauern.

 

Mittlerweile hatte mein Gegner wieder gezogen und mich vor neue Probleme gestellt, die es zu lösen galt. Natürlich nahmen diese meine Aufmerksamkeit voll und ganz in Anspruch, aber auch die schlimme Entwicklung auf dem Nachbarbrett bei meinem „Großen“ löste bei mir nicht gerade den Wunsch aus, etwaige andere Ruinen zu begutachten. Soviel stand fest: Zarko würde nicht mehr lange standhalten können! 🙁

 

Während ich mich also damit abzufinden begann, dass der Rückstand unvermeidlich ist, mittlerweile waren fast drei Stunden verstrichen, und ich irgendwie für einen vollen Punkt zu sorgen hätte, da vernahm ich tumultartige Geräusche von Roberts Brett. Ihm war es tatsächlich gelungen, seinen verwegenen Plan umzusetzen und er hatte seine Gegnerin kurz vorm unvermeidbaren Matt zur Aufgabe gezwungen – 1:0-Führung!

 

Eigentlich hätte dieser Sieg für uns ein Grund zur Freude sein sollen, aber da wir ahnten, was das für die restlichen Partien bedeutete, hielt sich unsere Begeisterung in Grenzen. Und tatsächlich erhöhten die Spieler des SK Keres nochmals den Druck. Allerdings gingen dabei einige zu ungestüm vor, sodass es plötzlich Schlag auf Schlag ging. Mein Gegner opferte eine Qualität für Angriff, verfing sich aber in meiner geschmeidigen Auffangstellung und stellte nach kurzer Zeit jedwede Kampfhandlung frustriert ein – 2:0-Führung.

 

Auch Stevens Gegner wollte sich nicht länger mit dem Decken eines einfachen Bauern befassen, sondern lieber Stevens König an den Kragen gehen. Dabei übersah er aber eine große Kleinigkeit und so stand es plötzlich 3:0 für uns Schachfreunde und es schien, als würden wir diesen Spieltag doch noch unbeschadet überstehen. Aber da gab es ja noch fünf offene Partien und die sahen allesamt nicht gut aus!

 

Zarko hing nach wie vor in den Seilen, Erichs Restbedenkzeit bis zur Zeitkontrolle verdiente den Namen nicht, Jörg hatte ein verlorenes Endspiel auf dem Brett, Andreas war in Gewinnstellung von einem Zug des Gegners derart überrascht worden, dass er dabei eine Qualität eingebüßt hatte und es sich nun gleichfalls aussuchen durfte, wie er das Endspiel abzugeben gedachte und Noa hatte bereits eine Figur weniger.

 

Und so kam es, dass Noa und Andreas die Waffen streckten und der SK Keres, mittlerweile waren etliche Schaulustige eingetroffen, auf 3:2 verkürzen konnte, bevor das Wunder vom „Rheingold“ geschah! Denn Zarkos Gegner hatte, um die Zeitkontrolle auch sicher zu schaffen, vorsichtshalber auch noch den 42. Zug schnell ausgeführt und dabei einen vergifteten Bauern geschlagen, wonach er die Dame für einen Turm tauschen durfte. Das nun entstandene Endspiel war von keiner Seite mehr zu gewinnen und man einigte sich auf ein aus unserer Sicht leistungsgerechtes Remis! 😉

 

Nahezu zeitgleich nutzte Jörgs Gegners die letzte Gelegenheit, das gewonnene Endspiel in ein theoretisches Remis abzuwickeln – Dame gegen einen Randbauern auf der vorletzten gegnerischen Reihe -, sodass auch hier ein unverhoffter halber, gefühlter voller, Punkt, denn nichts anderes war dieses Remis für uns, hinzukam – 4:3-Führung.

 

Nun galt es, dass Erich noch die Zeitkontrolle schafft, wäre doch angesichts seiner guten Stellung, auf einmal sogar der verloren geglaubte Mannschaftssieg drin gewesen. Aber leider waren es einfach noch zu viele Züge, die es in dieser einen Minute zu absolvieren galt, sodass Erich die Zeitüberschreitung nicht verhindern konnte.

Am Ende trennten wir uns mit einem 4:4, das überraschenderweise beiden Mannschaften etwas nutzt. Denn der nette Haufen aus dem „Rheingold“, der sehr überraschend in den Abstiegsstrudel geraten ist, sicherte sich einen wertvollen Punkt, und wir stehen nicht nur vorzeitig als Aufsteiger in die Kreisliga II fest, sondern haben immer noch alle Chancen, diese Saison als Meister zu beenden.

 

Der einzige Haken an diesem Ergebnis ist der, dass wir nicht haben endgültig klären können, ob es ihm Schach mehr auf den Drill oder auf die Leidenschaft ankommt. Aber angesichts des Verlaufs dieses epischen Mannschaftskampfes darf jeder diese Frage für sich selber beantworten. 🙂

 

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