Starke Turbulenzen
Mehr als eineinhalb Jahre hatte die Augsburger Schachwelt auf die Ausübung ihres geliebten Hobbys verzichten müssen, ehe es am Samstag endlich wieder soweit war. Die neue Saison eröffneten die Kreisklasse A und die Kreisliga III, wo wir mit je einer Mannschaft vertreten sind.
Während es aus der Kreisklasse A von unserer Warte aus absolut nichts zu berichten gibt, weil die Meringer das Kunststück fertigbrachten, aus einem Kader von 30 (!!!) Spielern keine vier Spielwilligen an die Bretter zu bekommen und deswegen den Wettkampf absagten, musste unsere neuformierte Fünfte ins Herrenbachviertel, um gegen einen Aufstiegsfavoriten anzutreten.
Am Ende eines überaus spannenden Verlaufs konnten wir knapp, wenngleich überaus verdient, gewinnen und durften gleich beide Punkte nach Oberhausen entführen. So strahlend dieser Erfolg auch sein mag, so verblasst er doch ob der Freude, dass endlich wieder die Entscheidungen an einem Brett fallen, welches nicht nur virtueller Art ist! 🙂
Angesichts der erfreulichen Entwicklung des Vereins, der selbst Corona zu trotzen gewusst hatte, war bzw. ist die Zielsetzung selbst für unsere Fünfte klar, obwohl sie doch als Achtermannschaft erst frisch ins Rennen geschickt wurde. Nichts minder als der Aufstieg in die Kreisliga II wird angestrebt, um so Platz für ein neues Team zu machen.
Zweifelsohne zählt unsere Fünfte nominell nicht zu den heißesten Anwärtern auf den Aufstieg, aber sie ist keineswegs chancenlos, findet man doch in ihren Reihen zahlreiche illustre Namen, welche wir in der Vergangenheit bereits in höheren Ligen hatten sehen können, und viele hungrige junge Spieler. Dennoch muss man anerkennen, dass es objektiv betrachtete auch stärkere Teams in der Klasse gibt, denn so manch andere Mannschaft vermag noch besser aufzutrumpfen. Eine solche ist beispielsweise die Dritte der SG Augsburg, mit ihrer gefühlten Erfahrung von knapp 500 Jahren.
Wie dem auch sei, mit Alexander R. jun., Jonas, Katarina, Karl, Michael, Raphael, Uwe und Vincent wurde ein Achter nominiert, der zwar durchaus konkurrenzfähig, aber leider auch stark geschwächt war, galt es doch gleich vier Stammkräfte zu ersetzen. Davon unbeeindruckt machten wir uns auf den Weg in den Augsburger Südosten.
Kurz vor dem offiziell angesetzten Spielbeginn, die Mannschaftsmeldung war längst ausgefüllt, beschlich Alexander R. sen. und meine Wenigkeit der Verdacht, dass unsere Reihen an jenem Abend nicht ganz geschlossen bleiben könnten, fehlte doch Karl. Mehrere Anrufe und sogar ein Abstecher in sein nahegelegenes Domizil führten zur traurigen Gewissheit, dass sein Brett aufgrund eines Missverständnisses verwaist bleiben würde, was zur Folge hatte, dass um 19.00 Uhr die Heimmannschaft in Führung ging – 1:0 aus der Sicht der SGA.
Selbst dieser frühe Rückstand und Raphaels schachlicher Selbstmord mit Anlauf nach nur fünf Zügen vermochten die Stimmung nicht einzutrüben, denn am Spitzenbrett merkte man Uwe die ziemlich genau dreißig Jahre währende Schachpause in keinster Weise an, manövrierte er doch wie ein junger (Schach-) Gott, Alexander R. jun. hatte sich selbstwusst einen Bauern gekrallt und dafür den König nach f8 begeben, Katarina schnürte ihren Gegner ordentlich ein, Jonas ließ keinerlei Zweifel aufkommen, wer der Herr am sechsten Brett ist und Michael zauberte seinen Gegner positionell schwindelig. Lediglich bei Vincent war es in einer scharfen Stellung gänzlich unklar, wohin die Reise gehen würde, was jedoch höchstens die Höhe des Sieges, nicht aber dessen Entstehen beeinflussen sollte.
Nach etwa zwei Stunden war es Jonas vergönnt, den Ausgleich zu erzielen. Was war geschehen? Ihm war es bereits in der Eröffnung gelungen, dem Gegner nicht nur große positionelle Zugeständnisse abzuringen, sondern zugleich einen wichtigen Zentrumsbauern zu gewinnen. Die anschließende Verwertung der technisch gewonnenen Stellung wickelte er derart routiniert ab, dass der volle Zähler zu keinem Zeitpunkt gefährdet war – 1:1.
Unmittelbar danach musste unsere Fünfte jedoch erneut einen Rückstand hinnehmen. In einer gänzlich seltsamen Partie, in der die Zuschauer fast nie den nächsten Zug zu erraten im Stande waren, hatte Vincent mit etwas Kerosin die vielen Brandherde auf dem Brett zu löschen versucht, hatte dabei zunächst etwas den Überblick, später die Königssicherheit und letztlich den Punkt verloren. Das passiert nicht nur Spielern, die zehn Jahre alt sind – 2:1 aus der Sicht der Gastgeber!
Zu jenem Zeitpunkt hatte Raphael nicht nur einen Bauern weniger, er hatte sich auch auf der einzig offenen Linie entgegengestemmt. Ein Plan, der grundsätzlich gut ist, hier aber vollkommen unangebracht war, sodass ständig ein zusätzlicher Qualitäts- bzw. Figurenverlust drohte, wohingegen Uwe nach wie vor gut stand und die beiden Zwölfjährigen bzw. Katarina blendend standen.
Gerade unsere „Amazone“ präsentierte sich im Gegensatz zu den U20-Kämpfen wie verwandelt! Sie drückte, parierte, drückte mehr und trieb den Gegner zu einem Verzweiflungsopfer. Dieses war auch wirklich nicht mehr als das, weshalb es ihr nach einigen geschickten Verteidigungszügen vorbehalten war, den erneuten Ausgleich herbeizuführen – 2:2.
Mittlerweile durfte man sich durchaus gewisse Sorgen machen, denn Uwe schien keinen Durchbruch zu finden und Michael stand zwar hervorragend, doch hatte er noch eine sich anbahnende Zeitnot zu überstehen. Alexander R. jun. hatte seine Königssicherheit aufgegeben, um auf der langen Diagonale Kapital zu schlagen, während Raphael dazu verdammt war, zu warten, dass der Gegner endlich den richtigen Plan findet, um weiteres Material abzuholen. Ein Warten, das zu dem Zeitpunkt bereits ca. zwölf Züge andauerte. Es deutete sich insgesamt ein sehr langer Abend an.
Plötzlich ging es jedoch schnell, denn Uwe stellte seine Gewinnbemühungen ein, Alexander R. jun. hatte entschieden weiter als sein Gegner gerechnet und Michael, nur noch fünf Minuten für 16 Züge habend, verdarb zusehends seine Traumstellung bis hin zum Damenverlust – 3,5:3,5.
Nun hing alles von Raphael ab. Ausgerechnet Raphael, dessen Spiel selbst an guten Tagen irgendwo zwischen Genie und Wahnsinn anzusiedeln ist und der seit Stunden in den Seilen hing. Mannschaftsdienlich machte er brav einen Zug, wenn ihn die Zugpflicht traf, wobei er nach wie vor zusehen musste, wie der Gegner vierzehn weitere Züge den Materialgewinn auf der offenen Linie verschmäht hatte.
Je weiter die Zeit voranschritt, umso mehr verlor man den Glauben an Raphaels Stellung, war doch gegen das Vorrücken eines Bauern mit größten Materialverlusten kein Kraut gewachsen. Und dann endlich der lange erwartete Zug, jedoch zu einem Zeitpunkt, als ein Schlagen mit Schach möglich war! Auf einmal holte sich Raphael nicht nur den Bauern zurück, er gewann sogar eine Qualität. Diese verbunden mit einer Vereinfachung der Stellung führte umgehend zum Sieg unseres „Mannes“, der damit den Mannschaftssieg sicherte – 3,5:4,5 aus der Sich der SG Augsburg! 🙂
Fazit:
Der zahlreiche Ersatz und die kampflose Niederlage wurden mit kindlichem bzw. jugendklichem Elan, über den alle Spieler verfügten, wettgemacht. Und auch wenn Raphaels Sieg ungemein glücklich war, so ging der Mannschaftserfolg vollumfänglich in Ordnung.
Die ersten zwei von zehn möglichen Punkten sind eingefahren. womit unserem Achter nicht nur ein guter Start geglückt ist, auch wurde zugleich der Druck auf die anderen Teams erhöht, es ihm gleichzutun, damit wir am Ende viele Aufstiege werden feiern können. 🙂
Interessanterweise haben in den anderen beiden Begegnungen die favorisierten Mannschaften nicht nur verloren, vielmehr wurden sie mit je 1:7 förmlich von den Brettern gefegt. Dies verspricht eine ungemein spannende Saison zu werden, zumal man im Herrenbach, in Kriegshaber und in Thierhaupten größere Ambitionen noch nicht begraben haben dürfte.
Alle Ergebnisse, Tabellen und sonstige Statistiken findet man wie gewohnt im Ligamanager. Viel Spaß. 🙂
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