Uhrenhandicap in Winnenden

Abermals im „Ländle“

 

 

Ganze vier Jahre hatte es dauern sollen, bis es endlich wieder zu einem Wiedersehen mit meinen Schwaben aus dem fernen Winnenden kam. Äußerst positiv eingestellte Menschen sähen darin wahrscheinlich einen Erfolg der angestrebten Regelmäßigkeit, fand damit doch seit 2010 in exakten Abständen jene Art von Veranstaltung statt, die eine sportliche Herausforderung mit einer geselligen Runde verbindet.

 

Allerdings kennen diese Optimisten meine Winnender nicht, weshalb sie auch nicht erahnen können, wie unbefriedigend diese großen Zeitabstände für mich sind. Deswegen werden wir uns ganz sicher bereits im nächsten Jahr wieder zur Saisonvorbereitung treffen, so manche Geschichte aus der Vergangenheit hervorkramen und dabei natürlich gemütlich zusammensitzen. 🙂

 

 

Obwohl mein ehemaliger Jugendleiter in diesem Jahr sein 70. Lebensjahr vollendet hat, hat er nichts von jenem Elan verloren, welchen er an den Tag gelegt hatte, als ich selber noch ein Jugendlicher war. An mir dagegen scheint der Zahn der Zeit deutlicher genagt zu haben, hätte ich mir unlängst ansonsten wohl kaum beim Widerlegen einer Variante im Training aus den Reihen der Jugend den Kommentar eingehandelt, dass mein Vorschlag für einen alten Mann recht ordentlich sei.

 

Wie dem auch sei, wir vereinbarten, den Nutzen meiner Anwesenheit für die Mitglieder des SC Winnenden dahingehend merklich zu erhöhen, indem ich am Freitag vor dem Uhrenhandicap ein kurzes Training – Die Rolle der Bauern von der Eröffnung bis hin zum Endspiel – abhalten und die anschließend gespielten Partien am Tag danach in großer Runde  hinsichtlich der Pläne und Ideen abklopfen sollte. Um die Attraktivität weiter zu steigern, verklärte Karl-Heinz, mein bereits erwähnter Jugendleiter, das Programm zu einem „Schachhighlight“ und sicherte sich mit diesem Gesamtpaket einen ungewöhnlich stark besuchten Vereinsabend.

 

Die Übungseinheit forderte mir alles ab, denn die Spanne der Spielstärke der Teilnehmer erstreckte sich von Anfängern bis hin zu alten Hasen, wobei erstaunlicherweise allen gemein war, dass teils erhebliche Wissenslücken klafften. Offensichtlich wurde der „Bauer“ als einfach zu spielen und in der Partie unbedeutet erachtet, sodass man ihm in der Vergangenheit kaum Beachtung geschenkt hatte.

 

Tatsächlich verhält es sich aber dergestalt, dass die Bauern „die Seele des Spiels“ sind! Ein Dogma, welches seit Francois-Andre Danican Philidor (1726 – 1795) und seinem Werk L’ analyse du jeu des échecs eigentlich im Vereinsschach fest verankert sein müsste, es aber in Wirklichkeit erfahrungsgemäß leider nicht ist.

 

Im Anschluss daran konnte so mancher sein frisch erworbenes Wissen beim Uhrenhandicap anwenden, wobei man es mir dieses Mal etwas schwerer als in der Vergangenheit machte – 2010: acht Gegner; 2014: zehn Gegner -, indem man mir gleich fünfzehn Gegner vorsetzte. Bei einer Bedenkzeit von 90 Min./40 Züge und 30 Min. für den Rest ein äußerst strammes Programm, woran selbst der Zeitaufschlag von 30 Sekunden pro Zug nichts änderte. Aber was tut man nicht alles, um den Trainingseffekt zu steigern?!

 

Die Partien waren hart umkämpft und ich bekam eine Ahnung davon, warum die Winnender als Aufsteiger gleich oben in der Liga mitmischten. Es wurde angegriffen, kombiniert und attackiert, sodass ich öfter in Bedrängnis geriet, als es mir hätte lieb sein können. Glücklicherweise vermochte ich mich in den meisten Fällen noch ins Endspiel zu retten, welches mir das nächste Thema förmlich offenbarte. Denn hier konnte ich so manch schlechtere Stellung halten, ohne es wirklich verdient zu haben. Lediglich mein alter Freund Rainer ließ mich nicht wirklich entwischen, sondern knipste mich einfach aus. Am Ende eines anstrengenden Abends hieß es dann schmeichelhaft 12,5:2,5 für mich.

 

Der Samstag war geprägt von Analysen, Fragen und dem Suchen nach der Wahrheit in bestimmten Stellungen, weshalb die Zeit verständlicherweise wie im Fluge verging. Anders kann man es nicht sagen, wenn einem der Blick auf die Uhr unvermittelt und schonungslos in Gedächtnis rief, dass bereits fünf Stunden vergangen waren und es an der Zeit ist, sich auf den Heimweg zu machen.

 

Um jedoch für die Reise gestärkt zu sein, gönnten wir uns noch in Winnendens bester Pizzeria ein schmackhaftes Mahl, plauschten, schmiedeten Pläne und erfreuten uns einfach daran, dass wir uns endlich wiedergesehen haben. Etwas, was wir definitiv häufiger tun werden, tickt doch die Lebensuhr unerbittlich weiter.

 


 

 

 

 

 

 


Kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert