Ein verschossener Elfer
Förmlich als kleiner Bruder des verflixten siebten Jahres offenbarte sich der siebte Spieltag in der Regionalliga, denn es setzte ein gänzlich unnötiges Unentschieden gegen den Achter des SC Haar, womit wir nicht nur einen wichtigen Punkt, sondern zugleich auch die Tabellenführung eingebüßt haben.
Dabei waren wir angetreten, nicht nur den Platz an der Sonne zu verteidigen, vielmehr wollten wir beide Punkte aus München mitnehmen, um die verbliebenen beiden Runden gegen die anderen Schwaben etwas entspannter bestreiten zu können.
Da Hannes bedauerlicherweise immer noch nicht genesen war, musste mit Alexander B. ein weiterer starker Spieler – Mehran war bekanntlich am Spieltag davor zum Stammspieler des „Flaggschiffs“ aufgestiegen – dauerhaft in die Erste beordert werden. Ein herber Verlust für die Zweite, aber leider eine bittere Notwendigkeit, wenn wir die Sollstärke von acht Spielern aufrechterhalten und damit unsere Chancen im Aufstiegskampf wahren wollten.
Bei schönstem Wetter machten wir uns, das heißt Alexander, Frank, Mehran, Misa, Sofie, Uli, Zarko und meine Wenigkeit, in den Südosten Münchens auf, um das zu tun, was zu tun ist, sofern uns am Ende ein Aufstieg in die Landesliga winken soll, nämlich siegen! Und die Voraussetzungen hierfür waren trotz kleinerer Wehwehchen bestens, sogar dermaßen gut, dass einem Angst und Bange werden konnte.
Am Spielort angekommen erwartete uns ein tolles Spiellokal, welches dermaßen lichtdurchflutet war, dass es eine Freude war, darin zu spielen, weshalb wir nach einer kurzen Ansprache, in welcher uns die Rolle des Favoriten aufgedrängt wurde, emsig zu Werke gingen.
Wir mussten gar einen derart entschlossenen Eindruck gemacht haben, dass nach nur wenigen gespielten Zügen ein Haarer einen schnellen schachlichen „Selbstmord mit Anlauf“ einer langwierigen Agonie vorzog, indem er mit Schwarz nach 1. e4 g6 2. d4 Lg7 3. Sc3 d6 4. f4 c5? entkorkte. Dies ausgerechnet gegen unseren blendend aufgelegten Zarko, der sich rasch eine Gewinnstellung sicherte.
Doch im Angesicht der Niederlage verließ den Haarer der Mut zur Aufgabe und er kämpfte irgendwie weiter. Übrigens etwas, was selbstredend auch an den anderen Brettern getan wurde.
Am ersten Brett wollte Misas Gegner unseren Spitzenmann wohl mit einer selten gespielten Variante im „Franzosen“ aus der Bahn werfen, was ihm jedoch nicht gelingen wollte. In der Folge festigte Misa seine Vorteile und stand nach dem 13. Zug überwältigend. Bei Uli sollte es wieder der leidgeprüfte „Holländer“ richten. Das sah zunächst auch gefällig aus, bewegte sich aber im normalen Rahmen der Theorie. Auch Franks Gegner vertraute auf den „Holländer“, womit er jedoch voll in die Vorbereitung lief. Mehran hatte zwar seinen Lieblingsaufbau gegen den „c3-Sizilianer“ ausgepackt, verfiel jedoch nach einem natürlichen Zug des Gegners in tiefes Nachdenken, was in einem derart frühen Stadium kein gutes Zeichen war. Dagegen präsentierten sich Sofie und Alexander äußerst kampfeslustig – Von einer Krise keine Spur! – und sprangen ihre Gegner förmlich an.
Letzteres hätte auch ich nur allzu gerne getan, aber mein Gegner hatte scheinbar die blanke Angst von sich Besitz ergreifen lassen, was sich darin äußerte, dass er nicht nur auf 1. e4 verzichtete, sondern mit 1. d4 auf eine Mischung aus „Atlantikwall“, „Maginot-Linie“ und „Siegfried-Linie“ vertraute, was sich auf dem Schachbrett als ein buntes Gemisch eines „Colle-Katalanen“ mit Tendenzen zur „Leningrader-Stonewall-Variante“ des Holländers im Anzug äußerte. Grabenkämpfe waren unvermeidbar!
Und während ich in der Folge nach und nach Raum eroberte, ereilte mich das erste Ergebnis. Frank hatte in eine Punkteteilung eingewilligt, denn wie es sich herausstellen sollte, war der Gegner hinsichtlich der Vorbereitung keineswegs untätig gewesen, sodass das Remis durchaus gerechtfertigt war – 0,5:0,5.
Allerdings durften sich die Haarer nicht lange am Gleichstand erfreuen, denn am dritten Brett trat das ein, was schon frühzeitig erwartet worden war. Zarkos Gegner, im Vorfeld etliche taktische Schläge hinnehmend, streckte die Waffen, was für uns die Führung bedeutete – 0,5:1,5 aus Haarer Sicht.
Mittlerweile hatte sich das Geschehen dermaßen entwickelt, dass ein Sieg für uns äußerst wahrscheinlich erschien. Zwar hatte Uli einen taktischen Witz übersehen, weshalb er grenzwertig stand, und Mehran war der berühmt-berüchtigten Schablone erlegen, was ihn veranlasst hatte, stur am ursprünglichen Plan festzuhalten, aber ansonsten sah es gut aus, obwohl sich Misas Vorteil überraschenderweise in Luft aufgelöst hatte.
Alexander und Sofie drückten überwältigend, was zwei Punkte erwarten ließ, während ich mich nach Überwindung des „Atlantikwalls“ und der „Maginot-Linie“ vor dem letzten Hoffnungsanker des Gegners befand. Es deutete alles auf einen 5:3-Sieg hin.
Dann setzte die erste Eintrübung ein, indem Alexander keinen Weg fand, seinen Vorteil weiter zu vergrößern, stattdessen eine Variante spielte, die ein Festfahren der Stellung zuließ und damit dem Gegner das Ansteuern des rettenden Remishafens erlaubte – 1:2 aus der Sicht der Haarer.
Diese Entwicklung schien Caissa entschieden zu missfallen, weshalb sie an Ulis Brett helfend einschritt. Ehrlich gesagt kann ich es mir nicht anders erklären, dass unser „Großer“ keine Niederlage quittieren musste. Egal, denn damit wurden die Münchner weiter auf Distanz gehalten – 1,5:2,5 aus Haarer Sicht.
Eine Distanz, die sich vergrößerte, denn Sofie vollstreckte gnadenlos und belohnte sich damit nicht nur selber, sondern rechtfertigte in eindrucksvoller Weise das in sie gesetzte Vertrauen – 1,5:3,5 aus Haarer Sicht.
Was sollte nun noch schiefgehen? Mit Mehran, der „Rechenmaschine“, Misa, einem gestandem Großmeister und mir trugen nunmehr Spieler die Verantwortung für den Mannschaftssieg, die in der Summe gefühlte tausend Wertungspunkte mehr ins Kampfgeschehen einzubringen vermochten.
Zugegeben, Mehran hatte nicht gerade seinen besten Tag erwischt und steuerte auf eine Niederlage zu, vor der ihn nur die Zeitnot des Gegners bewahren konnte, aber mit Misa und mir war ja noch die „alte Garde“ unterwegs.
Dass jedoch ausgerechnet diese in dieser kritischen Stunde versagen sollte, damit konnte wahrlich niemand rechnen, am wenigsten die entsprechenden Gegner, die in der Folge ihr Glück kaum fassen konnten.
Misa hatte seine Stellung weiter verschlechtert und anstatt mit energischen Gegenmaßnahmen ums Remis zu kämpfen, auch die letzte Chance dazu ungenutzt verstreichen lassen. Hier verdüsterten sich die Aussichten zunehmend.
Und bei mir? Ich hatte ein weiteres Mal meine Unfähigkeit bewiesen, denn aufgrund einer falschen Entscheidung in einer kritischen Stellung war es mir nicht gelungen, des Gegners letzte Verteidigungslinie zu durchbrechen, vielmehr löste sich unvermittelt alles auf und ich musste zähneknirschend in die Punkteteilung einwilligen – 2:4 aus Haarer Sicht.
Es sollte nicht lange dauern und die Haarer durften sich über den Ausgleich freuen. Zunächst hatte Mehrans Gegner der Zeitnot trotzend einen schönen Angriff aufs Brett gezaubert und anschließend brach Misas Stellung mit einem kleinen taktischen Schlag sofort zusammen – 4:4
Damit sollte sich ein weiteres Mal bewahrheiten, dass nicht vor oder während, sondern nach der Schlacht die Toten und Verwundeten gezählt werden. Hätten wir das berücksichtigt, die Enttäuschung ob dieses Ausgangs wäre wesentlich geringer ausgefallen.
Fazit:
Wie eingangs erwähnt, sind wir mit diesem Mannschaftsremis zugleich der Tabellenführung verlustig gegangen und bilden mit dem MSA Zugzwang II und dem FC Bayern München III mit 11:3 Punkten ein Dreigespann.
Allerdings können wir im Gegensatz zur zweiten Auswahl des einzig verbliebenen Münchner Bundesligavereins drei Brettpunkte weniger aufweisen, was in Anbetracht von nur noch zwei zu absolvierenden Begegnungen eine Menge Holz ist.
Nicht zu vergessen, dass die hinter uns lauernden Bayern über ein gewaltiges Reservoir an starken Spielern verfügen, das sie bisher nur bedingt angezapft haben. Sollte sich dies im Endspurt ändern, dann wäre der eine Brettpunkt Vorsprung, den wir auf die Bayern haben, vernachlässigenswert.
Alles ungemein spannend, weshalb an alle Vereinskameraden und Sympathisanten der Schachfreunde die Bitte ergeht, uns nicht nur moralisch zu unterstützen, sondern nach Möglichkeit zum letzten Heimspiel der Saison am 24. März in unsere „Zitadelle“ zu kommen, wenn es im Schwabenderby gegen den SC Klosterlechfeld zu spielen gilt.
Bis dato viel Spaß mit dem Studieren des Ligamanagers und beim Nachspielen unserer Partien. Wobei ich letzteres in so manchem Fall nur jenen raten möchte, die über starke Nerven verfügen.